VwGH: Insolvenzeröffnung während des Vergabeverfahrens
Während des Vergabeverfahrens wurde über das Vermögen eines Mitglieds der Bietergemeinschaft ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet. Trotz positiver Zukunftsprognose schied die Auftraggeberin das Angebot der Bietergemeinschaft aus. Der VwGH zeigt, unter welchen Voraussetzungen Auftraggeber:innen trotz Insolvenz vom Ausscheiden absehen können.- EuGH
- VwGH
- BVwG / LVwG
- Sonstiges
Rechtlicher Kontext
Öffentliche Auftraggeber:innen können gemäß § 78 Abs 1 Z 2 BVergG 2018 (bzw gemäß § 249 Abs 2 Z 1 BVergG 2018 im Sektorenbereich) Unternehmer:innen jederzeit von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausschließen, wenn über das Vermögen des Unternehmers bzw der Unternehmerin ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels kostendeckenden Vermögens kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Gemäß § 78 Abs 3 bzw § 249 Abs 4 kann der:die Auftraggeber:in von einem Ausschluss Abstand nehmen, wenn die Leistungsfähigkeit des Unternehmers bzw der Unternehmerin für die Durchführung des Auftrags ausreicht.
Ausgangsfall
Eine öffentliche Sektorenauftraggeberin schied das Angebot einer Bietergemeinschaft aus, weil nach Ablauf der Angebotsfrist über das Vermögen eines ihrer Mitglieder ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Ausscheidensentscheidung begründete die Auftraggeberin damit, dass trotz Vorliegens positiver Umstände (in der Gläubigerausschusssitzung zustimmend zur Kenntnis genommener Sanierungsplan, Erklärung der Bindungswirkung zum Angebot durch den Masseverwalter, beabsichtigte Fortführung des Unternehmens, gesetzliche Solidarhaftung der Arbeitsgemeinschaft, geringer Leistungsanteil der Gemeinschuldnerin) die Risiken und Unsicherheiten für das Ausscheiden des Angebots sprächen. Die Bietergemeinschaft sah hingegen zahlreiche Gründe, aus denen die Auftraggeberin vom Ausscheiden absehen hätte müssen und focht die Ausscheidensentscheidung an.
Das Verwaltungsgericht betonte den Auftraggeber:innen zukommenden Ermessensspielraum, der unionsrechtskonform ausgeübt werden muss. Hierfür sei eine Prognoseentscheidung über die Leistungsfähigkeit für die Durchführung des Auftrags zu treffen. Es seien nicht nur die im Unternehmen begründeten Umstände, sondern auch die konkreten Vorgaben und Umstände der Leistungserbringung zu berücksichtigen. Die Sektorenauftraggeberin habe im Rahmen des Aufklärungsverfahrens alle relevanten Umstände geprüft und sei zurecht vom Fehlen der beruflichen Zuverlässigkeit ausgegangen.
Entscheidung des VwGH
Nach dem VwGH stellt die Prüfung der Leistungsfähigkeit für das Absehen vom Ausscheiden durch Auftraggeber:innen eine einzelfallbezogene Beurteilung dar. Gegenständlich hatte nach Ansicht des Gerichtshofs die Sektorenauftraggeberin der Bietergemeinschaft im Rahmen des Aufklärungsverfahrens (trotz fehlendem Hinweis auf die Prüfung des Absehens vom Ausscheiden) ausreichend Möglichkeit gegeben, ihre Leistungsfähigkeit trotz Insolvenz eines Mitglieds nachzuweisen. Die Auftraggeberin ist letztlich zurecht zum Ergebnis gelangt, dass die Leistungsfähigkeit zur Auftragserfüllung nicht mit hinreichender Sicherheit gewährleistet wäre.
Bietergemeinschaft hatte ferner argumentiert, , eine Pflicht zur Weiterführung von Verträgen bei Zustimmung des Masseverwalters ergebe sich bereits aus den insolvenzrechtlichen Bestimmungen, weshalb die Auftraggeberin vom Ausscheiden hätte absehen müssen. Der VwGH hielt entgegen, dass sich die Insolvenzordnung auf bereits abgeschlossene zweiseitige Verträge beziehe, während es gegenständlich (mangels Beendigung des Vergabeverfahrens) zu keinem Vertragsabschluss gekommen war.
Fazit
Auftraggeber:innen können im Fall der Insolvenzeröffnung während des Vergabeverfahrens die Leistungsfähigkeit der Bieter:innen für die Auftragserfüllung prüfen und so von einem Ausscheiden absehen. Bei den §§ 78 Abs 3 und § 249 Abs 4 BVergG 2018 handelt es sich um eine „Kann“- und keine „Muss“-Bestimmung. Die Bieter:innen haben ihre bestehende Leistungsfähigkeit bei Insolvenzeröffnung derart nachzuweisen, dass für die Auftraggeber:innen keine Risiken oder Unsicherheiten offenbleiben.
Karlheinz Moick / Natasa Stankovic