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Die Auftraggeberin schätzt den Auftragswert sorgfältig auf EUR 95.000. Sie erhält zwei Angebote unter 100.000 und zwei Angebote knapp über EUR 100.000. Das Bestangebot (technisch und wirtschaftlich günstigstes Angebot) hat einen Auftragswert von EUR 103.500. Darf die Auftraggeberin dieses Angebot im Rahmen der Direktvergabe annehmen?
577 Abstimmungen
Explanation
Der geschätzte Auftragswert einer auszuschreibenden Leistung ist ohne Umsatzsteuer vor Einleitung des Vergabeverfahrens zu ermitteln. Bei der Schätzung handelt es sich um eine sachkundig und sorgfältig zu erstellende Prognose, die zB auf der Prüfung des konkreten Marktsegments oder auf einigermaßen aktuellen Erfahrungswerten der Auftraggeberin beruht. Vor dem Hintergrund einer nachprüfenden Kontrolle ist jedenfalls zu empfehlen, die Auftragswertschätzung samt der Wahl der Berechnungsmethode sorgfältig zu dokumentieren.
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Ermittlung des geschätzten Auftragswerts ist die Einleitung des Vergabeverfahrens. Dabei handelt es sich entweder um die Absendung der Bekanntmachung oder – bei Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung – um die erste außenwirksame Handlung (zB Aufforderung zur Angebotsabgabe bei Direktvergaben).
Die Auftraggeberin ist nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 69 BlgNR 26. GP 48) und der Rechtsprechung (VwGH 20.04.2016, Ro 2014/04/0071) an den von ihr ermittelten geschätzten Auftragswert und das in weiterer Folge anzuwendende Vergaberegime gebunden. Das bedeutet, dass ein Verfahren im Unterschwellenbereich grundsätzlich auch bei Vorliegen von höheren, im Oberschwellenbereich liegenden Angebotspreisen ein Verfahren im Unterschwellenbereich bleibt.
Wurde der Auftragswert sachkundig ermittelt, schadet ein später davon abweichender tatsächlicher Auftragswert grundsätzlich nicht. Im gegenständlichen Fall liegt das Angebot der Bestbieterin knapp 5 % über dem geschätzten Auftragswert. Überschreitungen in dieser Größenordnung wurden in der Rechtsprechung bisher als unschädlich qualifiziert (BVA 16.06.2000, F-18/98-19). Es gibt jedoch keine absolute Grenze für zulässige Abweichungen der Angebotspreise von der Auftragswertschätzung.